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Vor Kurzem fragte mich jemand auf Instagram, ob ich mich denn durch das Jurastudium verändert hätte. Diese Frage fand ich hochinteressant und wollte dem gründlich nachgehen. Meine Community hat mir tolle Fragen gestellt, auf die ich hier unter anderem eingehen möchte. Also, habe ich mich durch fast 5 Jahre Jurastudium verändert?
Der juristische Blick
Wie sehe ich die Welt? Betrachte ich mittlerweile alles als Jurist? Das kann man natürlich nicht so klar verneinen. Natürlich verändert sich die Sichtweise zum Teil durch das Studium – egal was man studiert. Wenn ein Thema aufkommt, dann helfen mir doch oft die Argumentationen und Einblicke aus dem Jurastudium. Allein meine Vorgehensweise ist sehr juristisch. Ich argumentiere Schritt für Schritt, nehme jedes Argument auf und suche das passende Gegenargument. Dahingehend hat sich meine Denkweise verändert. Doch ich laufe definitiv nicht durch die Welt und schmeiße mit juristischen Fachbegriffen um mich. Natürlich ändert sich die Sichtweise hinsichtlich einiger Dinge, weil man das Fachwissen dahinter parat hat (wie z.B. die große Frage „warum gibt es die Todesstrafe in Deutschland nicht?“). Ich bin auch zum Teil vorsichtiger geworden. Zunächst wird alles rechtliche durchgecheckt. Schon beinahe philosophisch finde ich die Veränderung meiner Betrachtungsweise durch den sog. Meinungsstreit. Wir Juristen lernen in der Universität, dass das Recht nicht schwarz/weiß ist. Es gibt nicht wie in der Mathematik diese eine richtige Vorgehensweise. Die einen haben diese Ansicht, andere die andere Meinung, die Rechtsprechung geht so vor, die Literatur kritisiert dies, usw. Schon in der Klausur lernen wir, dass wir zwar dieser einen Meinung folgen sollten, um den idealen Lösungsweg für die Klausur zu finden und damit die meisten Punkte abzuräumen. Doch ein ‚falsch‘ wird in den wenigsten Fällen am Korrekturrand stehen. Was ich damit sagen möchte? Ich war bereits immer sehr offen für andere Ansichten. Ich bringe meine Gegenargumente, aber wenn mein Gegenüber nicht verstehen möchte, dann ist das einfach so. Das ist seine Ansicht. Man kann ihn nicht zwingen und womöglich liegt er auch nicht so falsch. Ich sehe das so:
Der Meinungsstreit im Jurastudium lehrte mich, dass es verschiedene Ansichten gibt. Keine ist die falsche oder die richtige Ansicht. Die eine ist herrschend und die andere wird von weniger vielen Personen vertreten. Deswegen wird nicht jeder meine Ansicht verstehen und muss es auch nicht.
Zwangsläufig hat sich mein Blick auf die Dinge also doch etwas verändert. Doch die Wurzel meiner Sichtweise ist noch immer die selbe, sodass ich nicht sagen würde, dass ich mit (nur) juristischem Blicke durch das Leben gehe.
Die wandernden Freunde
Die nächste große Frage: habe ich Freunde verloren, weil ich Jura studiere? Großes NEIN als Antwort. Ich als introvertierte Person hatte immer weniger Freunde, aber dafür die Besten. Ich lege großen Wert auf Qualität, statt Quantität. Aber auch Bekannte, die man von früher kennt, sind keinesfalls abweisend zu mir geworden. Eher im Gegenteil. Immer wieder kommt es zu Gesprächen, weil ich Jura studiere und sie sich für meinen Werdegang interessieren. Das freut mich natürlich. Richtige Ablehnung habe ich von alten Bekannten, Freunden und der Familie nie erfahren.
Der ernste Jurist
Und wie sieht es mit dem Humor aus? Na ja. Da muss ich zugeben, dass ich nicht eine Person bin die lachend durch die Gegend rennt. Da ich introvertiert bin, bin ich einfach eher diejenige, die still grinst. Schwarzer Humor und Schadenfreude geht bei mir absolut nicht. Aber das liegt jetzt definitiv nicht an den Juristen in mir. Ich bin einfach so eine Persönlichkeit. Ich lache nicht gerne andere aus, wenn sie laut anderen „was blödes anziehen“ etc. Meiner Meinung nach hat sich mein Humor also überhaupt nicht verändert.
Effektivität und Disziplin
Ja, ja und nochmals ja! Also ich bin durch das Jurastudium so wahnsinnig diszipliniert geworden! Ich denke da ist das Jurastudium eins der Studiengänge, die einen ganz besonders formt. Gerade durch die Examensvorbereitung habe ich eine ganz anderes Level an Effektivität und Disziplin erreicht. Was bei mir „unproduktiv“ war, war nüchtern betrachtet, eine Pause, die ich mir eigentlich echt verdient habe. Ein bisschen verliert man dann aber die Sicht für die Realität. Über ein Jahr 24/7 lernen, voll normal, oder?! Machen doch alle, oder?! Muss ich auch schaffen! Da heißt es, sich regelmäßig an der Nase zu packen, um nicht durchzudrehen.
Stress und psychische Probleme
Ich finde tatsächlich, dass man im Jurastudium viel über sich selbst lernt. Mit Stress habe ich mich trotz „Stress“ vor dem Jurastudium nicht aktiv beschäftigt. Später war ich dazu schon fast gezwungen. Wenn man nicht psychisch krank werden möchte, muss man tatsächlich eine Balance finden. Gerade die Examensvorbereitung ist eine andere Erfahrung. Ich hatte nach den ersten drei Monaten der Vorbereitungszeit sogar eine starke Augenentzündung. Meine allergischen Reaktionen wurden durch den Stress schlimmer. Ab da musste ich wirklich darauf achten, dass ich mir, den Umständen entsprechend, so viel Stress wie möglich nahm. Denn immer, wenn ich mich zu stark aufregte und Panik bekam, waren meine Augen am nächsten Tag geschwollen. Als Jurastudent vergisst man schnell, dass man keine Maschine sein muss. Man hat das Gefühl 24/7 lernen zu müssen, da man sonst den Abschluss nicht verdienen würde. Das man ein Recht auf Privatleben hat und auf seine Gesundheit achten sollte, wird verdrängt. Ich habe durch diese Zeit viel über mich gelernt. Ich respektiere meinen Körper und meinen Gesundheit mehr. Achte darauf, dass ich glücklich bin und nehme mir trotz Lernstress Zeit für die schönen Dinge im Leben.
Zur Melancholie neige ich eigentlich immer und komme gut damit klar. Ich sehe das nicht als etwas schlechtes, ich bin einfach kein Sonnenschein-Typ. Das hat sich durch das Studium überhaupt nicht verändert. Ich habe mich sogar im Examens-Alltag relativ (also den Umständen entsprechend) wohl gefühlt. Ich dachte ich werde viel mehr in Panik verfallen und mich verrückt machen, weil ich eigentlich sehr stark dazu neige.
Meine Sicht auf das Rechtssystem
Wie finde ich das Rechtssystem, nachdem ich einen Einblick darin habe? Tatsächlich mal mehr und mal weniger gut. Das kommt immer ganz auf den Bereich an. Ich habe auf jeden Fall eine völlig andere Sicht auf unser Rechtssystem. Ich verstehe warum Gesetze – mit den Worten eines Laien ausgedrückt – „so kompliziert und unverständlich formuliert sind“, warum es die Todesstrafe nicht gibt, weshalb 15 Jahre = lebenslänglich bedeuten und (jetzt als Standardfrage an die Juristen), dass Mord nicht geplant ist, haha – Spaß beiseite. Ich finde, dass sich die Sicht total verändert. Egal ob ins negative oder positive. Man muss einfach sagen, dass man als Jurastudent einen ganz anderen Blick auf das Rechtssystem hat. Vieles wird einleuchtender, über anderes kann man sich mehr aufregen. Es ist unglaublich faszinierend mit Nichtjuristen darüber zu diskutieren. Ich denke jeder Student hat in seinem Fach eine Frage, die ständig aufkommt und auf dessen Beantwortung ein „aaachsooo“ folgt. Ich sehe die Strafverteidigung auch mit anderen Augen, als vor Beginn des Studiums. Die Sicht ändert sich auf jeden Fall, weil man einfach auf gut Deutsch „Ahnung“ hat.
Jura, Jura und danach Jura
Leider muss ich sagen, dass die Hobbys zu kurz kommen. Ich bin ein vielseitiger Mensch und werde wirklich depressiv, wenn ich mich nicht mit vielen Dingen beschäftige. Früher habe ich natürlich auch mehr gemalt, da ich einmal in der Woche zum Kunstunterricht ging. Jetzt bin ich froh, wenn ich einmal im Jahr ein Bild zeichne. Ich versuche aber einen Stundenplan für meine Hobbys einzuhalten. Einmal in der Woche überarbeite ich meinen Roman und dank Instagram kann ich immer Fotos bearbeiten. Früher konnte ich aber immer nach draußen gehen, um Fotos zu machen. Hier in der Stadt ist das leider nicht mehr so wie früher. Damals habe ich auch Ballettunterricht genommen. Jetzt versuche ich zuhause noch ab und zu etwas zu tun. Also das hat sich leider stark verändert. Doch ich habe auch neue Hobbys, wie Instagram und meinen Blog. Ich kann über das Studium schreiben und anderen Menschen damit helfen. Das ist wirklich toll. Doch ich muss wirklich sagen, dass das Jurastudium ein Vollzeitjob ist (auch, wenn viele glauben, dass man als Student nur Party macht).
Selbstbewusstsein
Hat sich mein Selbstbewusstsein verändert? „Jein“… schwer zu sagen. Ich glaube ich bin zum Teil durch das Jurastudium selbstbewusster geworden, aber auch das Gegenteil. Manchmal fühle ich mich tatsächlich verloren. Da kommen Gedanken auf wie „irgendwie bin ich doch anders als alle hier, passe ich vielleicht doch nicht in dieses Studium?“, andererseits gibt mir gerade die Argumentationssicherheit ein enormes Selbstbewusstsein in Streitgesprächen bzw. Diskussionen. Zwar folgen wir doch oft der Meinung in der Klausur, um zu diesen einen Lösungsweg zu kommen, doch im wahren Leben habe ich viel mehr gelernt, hinter meiner eigenen Meinung zu stehen, aber auch gleichzeitlich zu akzeptieren, dass es verschiedene Ansichten gibt. Nicht jeder wird und muss meine Ansicht verstehen. Da bin ich tatsächlich durchs Studium mit mir ins Reine gekommen.
Die Begegnung mit anderen Menschen
Leider muss ich sagen, dass wir Juristen es nicht immer leicht haben mit den Nichtjuristen. Ich kann von mir selbst guten Gewissens behaupten, dass ich ein herzlicher Mensch bin, keine Vorurteile habe, total harmoniebedürftig und emphatisch bin. Ich würde niemals auf die Idee kommen, einen Menschen nach seinem Äußeren zu beurteilen und schon gar nicht aufgrund seiner Berufswahl. Für mich steht der Charakter im Vordergrund. Leider geben mir die Menschen oft nicht die Chance, meinen Charakter offenzulegen. Sie begrüßen mich, fragen nach meinem Beruf und darauf folgt ein „so, so. Ein Rechtsverdreher also“. Mein Charakter scheint plötzlich keine Rolle zu spielen. Von anderen Studenten folgen oft Sätze wie „trägst du auch nur Markenkleidung?“, „hast du auch einen MacBook?“, „gehst du auch mit Blazer und Perlenkette in die Uni?“. Auf einen Schlag bin ich ihnen unsympathisch, obwohl ich nur meinen Namen und mein Studienfach genannt habe. Ich verstehe, dass die Jurastudenten zum Teil mit Argwohn betrachtet werden. Zugeben, es gibt einige Idioten, die glauben, dass sie als Jurastudenten mehr wert sind. Aber eben nicht alle und ich darf behaupten, dass bestimmt die Mehrheit nicht so ist. Wenn man aber den Jurastudenten gar nicht die Chance gibt, wie soll man dann diese freundlichen, bodenständigen Menschen finden? Gar nicht. Ich bin jedes Mal erschüttert, wenn ich diese Blicke abbekomme. Denn jetzt mal ganz ehrlich. Diese Jurastudenten, an die alle gleich denken, sind keine Arschlöcher weil sie Jura studieren, sondern weil sie einfach Arschlöcher sind. Die gibt es leider überall. Natürlich nehme ich das mittlerweile mit Humor. Aber für eine Person, die Vorurteile hasst, ist es noch schlimmer, wenn sie gehasst wird, weil man das Vorurteil hat, dass sie Vorurteile hat.
Dann Klartext, was ist nun mit den Klischees
Nun ja, jetzt habe ich es ja angesprochen. Was ist also mit den Jura-Klischees? Ja, ich habe einen MacBook. Nein, nicht weil ich Jura studieren. Also ich bin wirklich die letzte Person, die mit Markensachen „angeben“ würde oder was auch immer. Das hat mich noch nie in meinem ganzen Leben interessiert. Aber ich finde es genauso dämlich, dass man auf diejenigen rumhackt, die sich etwas aus Marken machen. Lasst doch die Leute tragen und kaufen was sie wollen. Ist doch egal! Es ist ihr Leben und sie Leben nun mal nur einmal. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn Jurastudenten wie Klischee-Jurastudenten aussehen. Ich wüsste auch nicht wieso mich das stören sollte. Klar, wenn jemand glaubt, deshalb besser als andere zu sein, dann ist das ein anderes Thema. Aber das hat nun wirklich nichts mit Juristen zu tun, sondern wie gesagt mit dem Charakter eines Menschen. Ich kenne genug Studenten, die etwas anderes studieren, die genauso so sind. Solange mir eine Person nichts tut, ist es mir egal, ob sie wie Barbie, wie ein Politiker, wie ein Hipster oder sonst wie aussieht. Hört doch auf die Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Lasst sie mit Anzug in die Uni gehen, wenn es ihnen Spaß macht. Lasst sie mit Hoodie und Jogginghose in die Uni gehen, wenn es ihnen gefällt. Ich selbst gehe manchmal in einem Blazer oder in einer Bluse in die Uni, dann wieder wie ein Rockstar, später, als ob ich gerade aus dem Bett gestiegen bin, danach wie ein Model, und und und. Tatsächlich habe ich mich schon mal angepasst. Aber in die andere Richtung. Manchmal habe ich ein blödes Gefühl, mit Blazer und Bluse in die Uni zu gehen, dann bin ich ja wieder die Klischee-Jurastudentin. Es nervt mich so ungemein, dass wir die Menschen nicht akzeptieren wollen wie sie sind. Ja, ich bin mittlerweile wieder ein Blondie, aber ich bin auch eine Zeit lang mit pinken und knallroten Haaren in die Uni gegangen. Als Jurastudentin?! Ja, als Jurastudentin. Also seid einfach ihr selbst. Keiner kann euch eure Persönlichkeit nehmen.
Was die Freunde sagen
Finden meine Freunde aus meiner alten Schule, dass ich mich verändert habe? Ich habe meine Schwester und meine engsten Freunde gefragt, die ich bereits über 10 Jahre (und darüber hinaus) kenne. Praktischerweise alles Nichtjuristen, sodass ihre Wahrnehmung ziemlich objektiv sein müsste. Die Antwort war einstimmig: nein. Ich habe mich also laut ihnen kein Stück verändert. Jedenfalls nicht durch das Jurastudium. Klar, ich bin reifer geworden in all den Jahren und stehe auch mittlerweile zu meiner introvertierten Persönlichkeit. Mein Freund und meine Schwester ziehen mich jedoch ab und zu wegen meines Sprachgebrauchs auf. Doch ehrlich gesagt, kann ich das auch nicht unbedingt mit dem Jurastudium verbinden. Zum Teil schon, aber ich erinnere mich an die Worte einer Freundin, die vor Jahren meinte „witzig, du sagst immer ‚Furcht‘ statt ‚Angst‘“. Ich denke also, das kommt eher davon, dass ich immer an meinem Roman schreibe. Natürlich hat sich aber auch die Wortwahl durch das Jurastudium verändert: „fraglich“ und „sozial-adäquat“ zum Beispiel. Das geschieht einfach automatisch.
Das Fazit
Ich glaube tatsächlich, dass ich mich nicht durch das Jurastudium verändert habe. Wenn, dann hat sich meine „normale“ Persönlichkeit nur verstärkt oder wie man es nennen möchte. Aber ich muss zugeben, dass ich meinen Stil etwas zurückhalte. Ich habe mir zwar die rote Haarfarbe rauswachsen lassen, weil ich wieder gesunde Haare wollte, nicht aufgrund des Studiums. Doch irgendwie zögere ich davor, sie mir wieder zu färben. Man passt sich doch irgendwie an, obwohl man es nicht möchte. Dennoch bin ich stolz darauf, dass mein Charakter noch der selbe ist.
Deine Meinungsstreiterin